Bockmist bei MS V

Diesmal: Warum MS-Betroffenen zum Verzicht auf bestimmte Lebensmittel geraten wird. 

Immer wieder höre ich in der Beratung oder Therapie von Menschen mit Multiple Sklerose, dass diese auf bestimmte Lebensmittel teilweise oder gänzlich verzichten. Auf die Frage, wie Betroffene zu der Auswahl der „verbotenen Lebensmittel“ kommen, werden häufig Lebensmittelunverträglichkeiten genannt. Diese wurden allerdings häufig nicht durch fachärztliches Personal, sondern zu Hause in Eigenregie mittels online bestellten Testsets oder bei Behandelnden mit alternativer Ausrichtung (z.B. Heilpraktiker*innen) festgestellt.  

Warum das problematisch sein kann? Der Verzicht auf eines oder mehrere Lebensmittel hat meist weitreichende Folgen, es können materielle Kosten, also höhere Ausgaben für Lebensmittel, Anschaffung von spezifischen Kochutensilien und so weiter entstehen, aber auch immaterielle Kosten wie das Bereitstellen von Energie zum Erlernen neuer Zubereitungsmethoden sowie das Aufbringen von Zeit zum Kochen und Einkaufen, die dann wiederum fehlt, um anderen Bedürfnissen nachzugeben. Natürlich kann eine Ernährungsumstellung auch ohne Lebensmittelunverträglichkeit ein Plus an Lebensqualität bedeuten, aber wenn die Motivation zu solchen Veränderungen allein auf der Idee gründet, dass bestimmte Symptome aus einer Unverträglichkeit bestimmter Lebensmittel herrühren, sollte es diese Unverträglichkeit zumindest auch geben. 

Test ist nicht gleich Test. Bei online verfügbaren Testkits oder bei von alternativ Behandelnden eingesetzten Tests handelt es sich meistens um IgG- oder IgG4-Tests.[1]Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): „IgG-Tests zur Diagnose von Lebensmittel unverträglichkeiten sind untauglich“, in: DGEinfo, 2009; 12, URL: … Weiterlesen Das Problem ist: Weder bei Nahrungsmittelallergien noch bei Nahrungsmittelunverträglichkeiten erlauben diese Tests eine Unterscheidung zwischen Gesunden und Erkrankten. Sie zeigen nur, dass die getestete Person wiederholt Kontakt mit dem entsprechenden Nahrungsmittel hatte und eine physiologische Reaktion des Immunsystems auf ein Fremdprotein vorliegt.[2]Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI): Es bleibt dabei: Keine Empfehlung für IgG(4)-Tests mit Nahrungsmitteln, URL: https://dgaki.de/es-bleibt-dabei/, 03.05.2016 … Weiterlesen

Wie ungenau die Tests sind, zeigt auch der Selbstversuch der Autorin Susanne Schäfer. Hatte sie beim ersten Test noch eine angebliche Allergie gegen Kuhmilch, Ei, Weizen und Roggen, reagierte sie beim zweiten Test mehrere Monate später zwar noch immer auf Kuhmilch, Ei und Weizen, dafür aber nicht mehr auf Roggen, stattdessen war sie plötzlich allergisch gegen Mais und Backhefe.[3]S. Schäfer: Dubiose Allergietests. Weizen und Kuhmilch waren gestern, URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/igg-test-auf-lebensmittelallergie-das-steckt-dahinter-a-1015889.html, … Weiterlesen

Der Einfluss von Lebensstilmaßnahmen, wie z.B. die Umstellung der Ernährung, auf den Verlauf von Multiple Sklerose wird in den letzte Jahren vermehrt erforscht. Beispielsweise wird in der Levidex Studie,[4]Siehe: https://levidex-studie.de/ [24.06.2021]. die in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführt wird, fundiertes Wissen zu den Themen „Ernährung, Entspannung, Bewegung, Mediation, gesunder Schlaf“ mittels einer App den Betroffenen zur Verfügung gestellt. Dennoch gibt es aktuell keine belastbaren Daten im Bereich der Ernährung bei MS, die zu einem sofortigen Handeln drängen. Vielmehr sollten Betroffene auf ihr eigenes Bauchgefühl vertrauen und beim Verdacht auf eine Unverträglichkeit einen Facharzt aufsuchen. Denn sich ohne Notwendigkeit spezifische Nahrungsmittel zu verbieten, die man im schlimmsten Fall auch noch gerne gegessen hat, bringt nicht nur keinen Vorteil für die eigene Gesundheit, sondern sorgt primär für schlechte Laune.

Christiane Jung

Quellen

Quellen
1 Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): „IgG-Tests zur Diagnose von Lebensmittel unverträglichkeiten sind untauglich“, in: DGEinfo, 2009; 12, URL: https://www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/fachinformationen/igg-tests-zur-diagnose-von-lebensmittelunvertraeglichkeiten-sind-untauglich/ [24.06.2021].
2 Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI): Es bleibt dabei: Keine Empfehlung für IgG(4)-Tests mit Nahrungsmitteln, URL: https://dgaki.de/es-bleibt-dabei/, 03.05.2016 [24.06.2021].
3 S. Schäfer: Dubiose Allergietests. Weizen und Kuhmilch waren gestern, URL: https://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/igg-test-auf-lebensmittelallergie-das-steckt-dahinter-a-1015889.html, 02.02.2015 [23.06.2021].
4 Siehe: https://levidex-studie.de/ [24.06.2021].