Kritisch unterwegs im MS-Versorgungsdschungel: Wo finde ich vertrauenswürdige Informationen?

Betroffene müssen sich heutzutage leider allzu oft auf eigene Faust über MS informieren, ohne gut einschätzen zu können, wo seriöse Angaben aufhören und kommerzielles Marketing anfängt. Wie könnte man das ändern? Dazu hielt Dr. med. Jutta Scheiderbauer einen Vortrag auf dem 14. Hamburger MS-Forum am 30. Mai 2015.

„In unserer Beratungsarbeit wird uns immer wieder von grundsätzlichen Schwierigkeiten der Betroffenen berichtet, hilfreiche Informationen zu finden. Dabei geht der Informationsbedarf weit über die Krankheit und deren Behandlung hinaus und hält viele Jahre nach Diagnoseübermittlung an. Sie berichten, dass Behandler zu wenig Zeit für das Gespräch haben und an die MS-Schwester verweisen. Dazu kommt, dass schriftliches Material oft von pharmazeutischen Herstellern stammt. Betroffene informieren sich dann auf eigene Faust über das Internet und andere Medien, ohne gut einschätzen zu können, wo seriöse Angaben aufhören und kommerzielles Marketing anfängt. Eine schlechte Arzt-Patienten-Kommunikation hat negative Folgen für die Krankheitsbewältigung. Eine Umfrage unter 202 MS-Betroffenen ergab, u.a., dass diese sich mehrheitlich „besser verständliche Aufklärung über komplizierte medizinische Sachverhalte“ wünschten. Und dies entspricht auch klassischen medizinethischen Grundprinzipien wie dem Selbstbestimmungsrecht, dessen Einhaltung im Patientenrechtegesetz im § 630e BGB festgelegt wurde. Der Behandelnde muss demnach über sämtliche für die Einwilligung in eine medizinische Maßnahme wesentlichen Umstände aufklären, nicht nur über die Durchführung, sondern über die Risiken, die Notwendigkeit und deren Erfolgsaussichten. Das Ganze ausführlich mündlich durch den Behandler selbst, und verständlich für den Patienten. Ohne korrekte Aufklärung ist eine Patienteneinwilligung nicht wirksam.

Eine weitere problematische Entwicklung, die Betroffene oft nicht sehen, ist eine massive Einflussnahme, besonders der pharmazeutischen Industrie, auf medizinische Therapiekonzepte, wie sie z.B. in der MS-Leitlinie festgelegt und auf Fortbildungen verbreitet werden. So üben viele MS-Experten zusätzlich zu ihrer eigentlichen Tätigkeit als Ärzte und Wissenschaftler bezahlte Nebentätigkeiten für Medikamentenhersteller aus. Und MS-Schwestern werden vielfach nicht nur durch Pharmaunternehmen ausgebildet, sondern für ihre Beratungstätigkeit am Patienten auch von ihnen bezahlt. Diese so genannten Interessenskonflikte schränken die Vertrauenswürdigkeit auch der offiziellen Therapieempfehlungen erheblich ein. Für die Zukunft muss auf die vollständige personelle Abkoppelung der (notwendigen) Kooperation der pharmazeutischen Industrie mit Ärzten im Rahmen der Medikamentenentwicklung von der unabhängigen, wissenschaftlich-medizinisch legitimierten Forschung und Fortbildung über die optimale Anwendung von Therapien geachtet werden. Deshalb bleibt für die Suche nach vertrauenswürdigen Informationen nur der Rat, sich unabhängige Ärzte und Ärztinnen, MS-Schwestern und andere Anlaufstellen zu suchen.

Verschiedene Initiativen setzen sich bereits für bessere Arzt-Patienten-Kommunikation, so auch unsere Online-Petition auf Change.org: „Für eine humane Diagnosemitteilung bei Multipler Sklerose“, oder für unabhängige Leitlinien und Fortbildungen ein. Allerdings bisher noch ohne durchgreifenden Erfolg.“

Hier findet sich die Power-Point-Präsentation zum Vortrag:
Patientenforum_Hamburg_30.05.2015_Vortrag_Scheiderbauer

Foto von Fredrik Öhlander bei Unsplash

6 Kommentare

  1. Amygdala

    Hallo Jutta,
    besonders zentral finde ich folgende Aussage von dir:

    “ Betroffene informieren sich dann auf eigene Faust über das Internet und andere Medien, ohne gut einschätzen zu können, wo seriöse Angaben aufhören und kommerzielles Marketing anfängt.“

    Ich finde es schlimm genug, dass die Konzernmedizin soviel Einfluss auf die leitlinientreue Behandlung (also die von den KK bezahlte) von MS hat.

    Das aber findige Geschäftemacher die Frustration und Abwendung von erfahrenen MSlern zu ihren Gunsten ausnutzen, finde ich genauso verwerflich.

    Für mich hat weder die Pharma, noch die geradezu unübersichtliche Gruppe der sogenannten „alternativen Heiler“ derzeit den „Schlüssel“ zur effektiven Behandlung von MS zur Hand.

    Gemeinsam ist allerdings beiden, dass sie mit der Angst von Betroffenen arbeiten und ihnen „Hoffnungen“ machen…..

  2. Amygdala

    Korrektur und Ergänzung zu meinem obigen Kommentar:

    Das aber findige Geschäftemacher aus anderen Branchen der Gesundheitsindustrie die Frustration und Abwendung von UNerfahrenen MSlern zu ihren Gunsten ausnutzen, finde ich genauso verwerflich.

  3. Seit vielen Jahren und auch aktuell ist die Unsicherheit bei MS und ist die Verzweiflung sehr groß.

    NeurologInnen sind ebenso ratlos wie Betroffene, die Pharmazie versucht ihre Produkte zu verkaufen, und ob sie wirklich helfen oder nicht, das ist im Einzelfall nicht zu beweisen. Jede MS verläuft anders, es ist sehr schwer zu ertragen, Nichts zu tun. Bzw. einige ertragen es nicht, derart hilflos zu sein, und entsprechend muss ihnen auch zugestanden werden, dass ein „gütiger Onkel Doktor“ mit einem Hochglanzprospekt und einer Pille kommt – und alles wird gut?! (Bevor der/die Betroffene vor lauter Sorge „verrückt“ wird… das Umfeld, es nicht akzeptiert, Nichts zu tun…

    So herrscht hier ein „Glaubenskrieg“. JedeR verteidigt die eigene Lösung (mach ich eine „Therapie“ oder nicht, glaube ich fest daran, dass ich durch veränderten Lebendwandel, Ernährungsumstellung, andere Ideen etwas bewirken kann…?), und die Hersteller und viele NeurologInnen bieten eben bestimmte Produkte an… wer sagt seinen PatientInnen schon gerne, hilflos und ratlos zu sein?

    Gerade diese Ehrlichkeit halte ich für sehr wichtig. Bei der Behandlung der MS geht es nicht um „sicheres“ Wissen und große Erkenntnisse (wie baue ich einen funktionierenden Computer), sondern hier spielt der Glaube eine zentrale Rolle. (Ich kann nicht etwas tun, und dann mit einem Schalter kontrollieren, ob es funktioniert oder nicht.)

    Gerade diese Unsicherheit zu ertragen, jenen, die vorgeben, die Lösung bereits in den Händen zu halten, entsprechende Fragen zu stellen, für das Aushalten von Unsicherheit Werbung zu machen, halte ich für eine sehr wichtige Aufgabe.

    Insofern Danke an dieses wichtige Projekt! 🙂

    Liebe Grüße

    Stefan

  4. "Heiler"

    „Für mich hat weder die Pharma, noch die geradezu unübersichtliche Gruppe der sogenannten “alternativen Heiler” derzeit den “Schlüssel” zur effektiven Behandlung von MS zur Hand.“

    Gemeint sind dann wahrscheinlich Heilpraktiker? Wenn ich mich in MS-Foren so umsehe, dann werden Heilpraktiker meist mit nicht sehr netten Ausdrücken betitelt. Damit verbaut man vielen an MS oder anderen neurologischer Krankheiten Erkrankten leider einen Weg, den zu gehen für viele ein Leben mit guter Gesundheit bedeuten würde. Gut ist, das dann doch einige nicht darauf hören und in der Lage sind, sich seriöse Behandler mit alternativer Heilkunde wie z.B. die Homöopathie zu suchen und damit eine gute Gesundheit zu erlangen. Schlimm ist es so einen Dienst für schwer Erkrankte, der sicher nicht leicht ist, mit den Ansinnen der Pharmaindustrie in einen Topf zu werfen.

  5. Seidl Gehard

    In der Pracksis hat weder die Schulmedizin noch der Wunderheiler eine Antwort. Sie stochern nur herum und versuchen Gewinn zu machen. Eine echte Lösung haben sie alle beide nicht. Der Mensch ist ohne Hilfsmittel auf die Welt gekommen.Daher warum soll ich etwas unterstützen das sowieso keine Lösung hat ? Ich habe selber MS und nehme seit Jahren nichts von dem Künstlichen Dreck. Mein Glaube ist viel stärker da ich mich an der Natur orientiere. Was anderes kommt für mich nicht infrage. Ich empfehle jeden MS Patienten lehnt euch einmal zurück und denkt nach. Mein Leitfaden ist eisernes Training und Ernährung von der Natur. mfg

  6. Delponte

    Ich habe mit der BT nach genau viermal Spritzen aufgehört. Nur so als Dateninput. Die wirkliche Abbrecherquote liegt evtl. tiefer als die genannten 1,5 Jahre spritzen(Ontario Studie 2010)
    Ich nehme jetzt gar keine BT.

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