Stress und MS

MS-Betroffene vermuten bei dem Thema einen direkten Zusammenhang, aber die Wissenschaft hat dazu nur wenig gefunden.
Beim Thema Stress und MS sind Betroffene häufig mit einer Vielzahl von Informationen konfrontiert, beispielsweise finden sich online Aussagen wie „Stress verschlimmert die Symptome“[1]S. Langer: „Multiple Sklerose: Stress verschlimmert die Symptome“, in: Deutsche Apotheker Zeitung, 2003, Nr. 40, S. 6, URL: … Weiterlesen, „akuter Stress kann das Schubrisiko erhöhen“[2]Aktiv mit MS: Stress bei MS so gut wie möglich meiden, URL: https://www.aktiv-mit-ms.ch/ms-leben/ms-und-psyche/detail/artikel/stress-bei-ms-so-gut-wie-moeglich-meiden/ (15.12.2020). oder: „Ich wette, bei mir war‘s der Stress [der die MS ausgelöst hat]“[3]J. Bidder: „Multiple Sklerose – Mitten im Leben“, in: Focus online, 09.09.2015, URL: https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gehirn/tid-5568/multiple-sklerose_aid_54110.html (15.12.2020).. Am Ende bleiben Betroffene ratlos, manchmal leider auch ängstlich zurück. Im folgenden Artikel versuchen wir daher die wichtigsten Fragen zum Thema Stress und MS anhand der aktuellen Studienlage zu beantworten.

In der Wissenschaft unterscheidet man positiven und negativen Stress. Positiver Stress, auch als Eustress (griechisch eu = gut) bezeichnet, ist ein Konzept von Hans Selye (1976), nach dem Reize, die der Organismus als belastend erlebt, von der Person als positiv bewertet werden. Beispiele dafür sind unter anderem: Achterbahnfahrten, Vorträge, Prüfungen, Wettkämpfe oder die eigene Hochzeit. Ob etwas als positiver oder negativer Stress erlebt wird, ist im hohen Maße von der Person, welche den Stress erlebt, und ihren Fähigkeiten und Ressourcen abhängig. So kann die gleiche Situation für zwei unterschiedliche Personen entweder zu Eustress oder Distress (negativer Stress) führen. Beispielsweise kann die Organisation einer Familienfeier sehr auslaugend für die eine Person sein, da sie sehr hohe Erwartungen an jedes Detail der Feier hat, keine Aufgaben delegiert und bis spät in der Nacht vor der Feier noch dafür etwas vorbereitet. Jemand anderes schafft es hingegen, die eigenen Maßstäbe weniger perfektionistisch zu stecken und auch Aufgaben abzugeben und so die Vorbereitungen nicht als negativen Stress zu erleben.

Löst Stress MS aus?

„Warum habe gerade ich MS bekommen?“ ist eine Frage, mit der sich ein Großteil der Betroffenen immer einmal wieder beschäftigt. Manche ziehen als Erklärungsansatz die Lebensweise heran, die sie vor Beginn der Erkrankung geführt haben. Die Idee, dass Stress nicht gesund ist und dadurch zum Ausbruch der Erkrankung beigetragen haben könnte, erscheint auf den ersten Blick logisch, überzeugende Hinweise aus der Forschung gibt es allerdings nicht für diese Hypothese. So finden sich zum einen ziemlich widersprüchliche Daten, zum anderen fallen die Effekte, selbst wenn welche gefunden werden, nur sehr gering aus. Eine Übersichtsarbeit von Briones-Buixassa et al.[4]L. Briones-Buixassa et al.: „Stress and multiple sclerosis: A systematic review considering potential moderating and mediating factors and methods of assessing stress“, in: Health Psychology … Weiterlesen, die mehrere Studien zu dem Thema analysiert hat, zeigt dies ziemlich eindrücklich. Hier einige Beispiele: Zwei Studien, eine von Mei-Tei et al. (1970) und eine von Pratt (1951), die unvalidierte Interviews verwendeten, um emotionalen Stress vor dem Ausbruch der MS zu erfassen, konnten keinen signifikanten Unterschied feststellen. Grant et al. (1989) zeigten hingegen in seiner Studie, dass Personen mit MS im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe häufiger (77% zu 35%) im Jahr vor Beginn der Erkrankung ein kritisches Lebensereignis erlebt hatten. Riise et al. (2011) fanden in einer großen 30-Jahre-Follow-up-Studie keinen Effekt von Stress auf die Entwicklung von MS. Daten zu stressvollen Lebensereignissen entnahm Nielsen et al. (2014a, 2014b) aus dem Nationalen „Multiple Sclerosis Registry“. Hier zeigte sich nur eine geringe Evidenz für einen Zusammenhang zwischen kritischen Lebensereignissen und dem MS-Risiko, nur eine Scheidung der Eltern in der Kindheit erhöhte das MS Risiko moderat. Ein stressvoller Lebenswandel kann somit, wenn überhaupt, nur zu einem sehr geringen Anteil die Entstehung von MS erklären.

Kann man durch Stress einen Schub bekommen?

Auch mit dieser Frage hat sich die genannte Übersichtsarbeit von Briones-Buixassa et al. beschäftigt und auch hier gibt es keine eindeutige Antwort. Wir stellen im Folgenden die berücksichtigten Studien kurz vor. Waren et al. (1991) erfasste nach dem Auftreten eines Schubes mittels verschiedener Skalen, ob MS-Betroffene im Vorfeld Stress erlebt hatten. Er fand eine positive Korrelation. Gasperini et al. (1995) fanden hingegen mittels eines strukturierten Interviews, das Patient*innen retrospektiv nach einzelnen stressvollen Erlebnissen vor dem Schub fragte, keinen Zusammenhang. Acht weitere Studien erfassten Stress bereits vor dem Auftauchen eines MS-Schubes bis zu dessen Auftreten systematisch mittels Fragebogen, Skalen oder Interview. In der Studie von Mohr et al. (2000, 2002) fand sich nach einem stressvollen Ereignis eine achtwöchige Periode, in der das Schubrisiko erhöht war, allerdings war der Zusammenhang nicht robust genug, dass anhand von stressvollen Ereignissen ein Schub vorhergesagt werden konnte. Oveisgharan et al. (2014) fanden hingegen keinen Unterschied hinsichtlich des Auftretens von stressvollen Erlebnissen bei Personen mit und ohne Schub. Ackermann et al. (2002, 2003) setzten wöchentlich Fragebögen sowie halbstrukturierte Interviews zum Beginn und Ende der Studie ein. Beide Studien zeigten, dass Stress ein möglicher Auslöser für einen Schub sein kann, und umgekehrt, dass Schübe Stress auslösen können. 85% aller Schübe waren mit Stress assoziiert und 49% aller stressvollen Ereignissen waren mit einem Schub verbunden. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass selbst wenn Stress an der Entstehung eines Schubes beteiligt sein sollte, er nicht automatisch zu einem führen muss. Auch die Untersuchungen von Brown et al. (2006a, 2006b) und Schwartz et al. (1999) fanden einen Zusammenhang zwischen Stress und Schüben in beide Richtungen.

Vier weitere Studien (Buljevac et al. 2003; Mitsonis et al. 2008, 2010; Potagas et al. 2008) verwendeten Tagebücher, in denen die Patient*innen selbst Auskunft über ihr Stresserleben gaben. In allen Studien fand sich nach einem stressvollen Ereignis für 4 Wochen ein erhöhtes Risiko, einen Schub zu erleiden, aber auch hier gab es keinen Automatismus, nicht jede*r mit Stress erlebte einen Schub. Wichtig ist bei der Beschäftigung mit dem Thema Stress und Schübe bei MS außerdem zu beachten, dass Stress neben Infektionen, Fieber und Hitze einen so genannten Pseudoschub auslösen kann. Bei einem Pseudoschub verschlechtern sich schon bestehende Symptome, oder neue, bis dahin unbekannte Symptome treten kurzzeitig auf. Zum Beispiel spürt man Taubheit oder Kribbeln an einer vorher nicht betroffenen Körperstelle oder die Gehfähigkeit oder die kognitive Leistungsfähigkeit nehmen kurzfristig ab. Im Gegensatz zum „echten“ Schub bilden sich die Beschwerden meist schnell wieder zurück, sobald die Stressbelastung nachlässt.

Wirkt sich Stress negativ auf den Krankheitsverlauf aus?

Diese Frage wurde mittels verschiedener Ansätze immer wieder beleuchtet. Burns et al.[5]M.N. Burns et al.: „Do positive or negative stressful events predict the development of new brain lesions in people with multiple sclerosis?“, in: Psychological Medicine, 2014; 44 (2), S. … Weiterlesen beispielsweise untersuchten in ihrer Studie den Zusammenhang zwischen stressvollen Lebensereignissen und dem Auftauchen neuer Läsionen im Gehirn. Dafür wurden bei MS-Patient*innen alle vier Wochen mittels verschiedener Fragebögen Symptome von Ängstlichkeit und Depression sowie das Vorhandensein von negativen wie positiven stressvollen Lebensereignissen in den letzten vier Wochen erfragt. Die Autor*innen unterschieden die negativen Lebensereignisse in „major“ (hochgradig) und „moderate“ (mäßig) stressvolle Ereignisse. In die Kategorie „major“ fielen negative Lebensereignisse mit einer unmittelbaren physischen Bedrohung für die Person (zum Beispiel in tätlicher Angriff, Einweisung ins Krankenhaus wegen lebensbedrohlichen Beschwerden) oder nahe Angehörigen beziehungsweise Ereignisse, welche die Struktur der Familie betrafen (etwa, ob der Ehepartner eine Affäre hat). Allein zwischen diesen „major“ stressvollen Ereignisse und dem Auftauchen neuer Läsionen gab es einen Zusammenhang, außerdem zeigte sich, dass positive stressvolle Ereignisse das Risiko für das Auftreten neuer Läsionen leicht senkten. Das bedeutet, moderater Stress oder stressige Ereignisse, die wir als positiv bewerten, hatten in dieser Studie keinen Einfluss auf die Entstehung neuer Herde.

Die Studie von Mohr et al.[6]D.C. Mohr et al.: „Psychological stress and the subsequent appearance of new brain MRI lesions in MS“, in: Neurology, 2000; 55 (1), S. 55–61, doi: 10.1212/wnl.55.1.55. wiederum untersuchte den Zusammenhang zwischen stressvollen Lebensereignissen, negativem Stress und der Zunahme von kontrastmittelaufnehmenden Herden. Es wurden dabei die „Social Readjustment Rating Scale“ (SRRS), ein Fragebogen von Holmes und Rahe, der eine Liste von 43 stressigen Lebensereignissen abfragt, die „Hassles Scale“ und das „Profile of Mood States“ eingesetzt. Allein zwischen einer Subskala des SRRS, welche die Zunahme von zwischenmenschlichen Konflikten und die Unterbrechung von Routinen abfragt, und der Zunahme von kontrastmittelaufnehmenden Herden fand sich hier ein leichter Zusammenhang. Bei der Bewertung dieser Studienergebnisse muss auf jeden Fall im Hinterkopf behalten werden, dass neue Herde nicht gleichzusetzen sind mit einer Verschlechterung klinischer Symptome oder des Krankheitsverlaufes.[7]B.A.C. Cree et al.: „Long-Term Evolution of Multiple Sclerosis Disability in the Treatment Era“, in: Annals of Neurology, 2016; 80, S. 499–510. Einem anderen Ansatz folgte eine Untersuchung der Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC). Dabei wurde der Zusammenhang zwischen Stress und der Aktivität des Gehirns bei Multipler Sklerose untersucht. Die Ergebnisse wurden auf verschiedenen Internetseiten aufgegriffen. „Schon lange wird vermutet, dass Stress den Verlauf einer Multiplen Sklerose negativ beeinflussen kann“[8]A. Volkmann: Neue Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Stress und MS, URL: https://www.gesundheitsstadt-berlin.de/neue-erkenntnisse-zum-zusammenhang-zwischen-stress-und-ms-10919/, 01.12.2016 … Weiterlesen oder: „Wissenschaftler der Charité und des Max-Delbrück-Centrums konnten in ihren Untersuchungen sogar einen Zusammenhang zwischen Stress und der Hirnatrophie bei MS feststellen.“[9]Adeva – Leben mit MS: Stress und MS: So gehst Du damit um, URL: https://www.leben-mit-ms.de/artikel/2018-11-08/stress-und-ms, 18.11.2018 (15.12.2020).

Bedeutet das also, dass, wenn ich Stress habe, der Verlauf meiner MS negativ beeinflusst wird? Dass sogar mein Gehirn unter Stress dauerhaft geschädigt wird? Um den Schluss vorwegzunehmen: Nein, die Studie der Charité zeigt nicht, dass Stress zu Schäden am Gehirn führt, das konnte das Untersuchungsdesign auch gar nicht leisten. Schauen wir uns die Studie einmal genauer an.[10]M. Weygandt: Neue Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen stressinduzierter Hirnaktivität und Erkrankungsschwere, Pressemitteilung der Charité Universitätsmedizin Berlin, URL: … Weiterlesen  Mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie, einem bildgebenden Verfahren, um physiologische Funktionen im Inneren des Körpers darzustellen, wurde die Hirnaktivität von 36 an Multipler Sklerose erkrankten Patient*innen und 21 gesunden Kontrollpersonen untersucht. Während der Untersuchung wurden die Proband*innen mittels Rechenaufgaben einem milden psychologischen Stress ausgesetzt und im Anschluss wurde die durch den Stress ausgelöste Hirnaktivität zu den Krankheitssymptomen und zum vorhandenen Volumen der Hirnsubsubstanz in Beziehung gesetzt. Dabei zeigte sich eine erhöhte stressbedingte Hirnaktivität, wenn das Hirnvolumen der Proband*innen durch die MS vermindert war, die mit den motorischen und kognitiven Beeinträchtigungen der Patient*innen korrelierte. Die Studie sagte allerdings gar nichts darüber aus, ob Stress zu Hirnvolumenverlust führt, denn dafür hätte man sich Hirnvolumenveränderungen bei Stress im Laufe der Zeit anschauen müssen. Es zeigte sich vielmehr auch bei gesunden Studienteilnehmenden in der gleichen Hirnregion eine Verknüpfung zwischen dem Hirnvolumen und stressbedingter Aktivität des Gehirns. Nur war bei Gesunden mit nicht vermindertem Hirnvolumen die stressbedingte Aktivität weniger groß als bei MS-Betroffenen mit vermindertem Hirnvolumen, weil ihnen zur Verarbeitung des Stresses mehr Nervenbahnen und verbindungen zur Verfügung stehen. Man kann es auch so ausdrücken, dass es für MS-Betroffene anstrengender ist, mit Stress umzugehen, aber es nach heutigem Kenntnisstand nicht der Stress ist, der zur Abnahme des Hirnvolumens geführt hat. Übrigens verlieren auch gesunde Personen im gewissen Umfang Volumen und Masse ihres Gehirns mit fortschreitendem Alter, so verliert man ab dem 20. Lebensjahr etwa 50.000 bis 100.000 Hirnzellen täglich.[11]Wikipedia: Hirnathrophie, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hirnatrophie (15.12.2020). Die Studie sagt demnach gar nichts darüber aus, ob Stress zu Hirnvolumenverlust führt. Um erste Daten zu diesem Thema zu erheben, wäre mindestens eine Messung über die Zeit bei gleichzeitiger Feststellung des erlebten Stresses im Alltag und die Erhebung des Hirnvolumens notwendig.

Fazit

Es gibt Hinweise darauf, dass Stress mit dem Auftreten von Schüben assoziiert ist. Die gute Nachricht ist jedoch, dass es sich nicht um einen Automatismus handelt, also nicht jeder erlebte Stress automatisch zu einem Schub führt, sondern sich die Wahrscheinlichkeit, einen Schub zu erleben, nur für einen Teil der Betroffenen für eine gewisse Zeit erhöht. Bezüglich der Auswirkung von Stress auf die Entstehung von MS und den Krankheitsverlauf gibt es keine überzeugenden Hinweise. Stress als alleiniger bzw. zentraler Auslöser für die Entstehung einer MS oder als Treiber für eine Verschlechterung der Erkrankung kommt somit nicht in Betracht. Angst vor Stress müssen Betroffene also nicht haben. Allerdings kann sich ein gutes Stressmanagement positiv auf die Lebensqualität von Betroffenen auswirken, daher können wir nur jede*m empfehlen, sich Aktivitäten zu suchen, die ihm oder ihr dabei helfen, besser mit Stress zurechtzukommen, ob das jetzt Yoga, Wanderungen in den Weinbergen oder Zeit mit den Enkel*innen ist.

Christiane Jung
Foto: 
Pedro Figueras/Pexels

Quellen

Quellen
1 S. Langer: „Multiple Sklerose: Stress verschlimmert die Symptome“, in: Deutsche Apotheker Zeitung, 2003, Nr. 40, S. 6, URL: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2003/daz-40-2003/uid-10698, 28.09.2003 (15.12.2020).
2 Aktiv mit MS: Stress bei MS so gut wie möglich meiden, URL: https://www.aktiv-mit-ms.ch/ms-leben/ms-und-psyche/detail/artikel/stress-bei-ms-so-gut-wie-moeglich-meiden/ (15.12.2020).
3 J. Bidder: „Multiple Sklerose – Mitten im Leben“, in: Focus online, 09.09.2015, URL: https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gehirn/tid-5568/multiple-sklerose_aid_54110.html (15.12.2020).
4 L. Briones-Buixassa et al.: „Stress and multiple sclerosis: A systematic review considering potential moderating and mediating factors and methods of assessing stress“, in: Health Psychology Open, 2015; 2 (2):2055102915612271, doi:10.1177/2055102915612271, 04.11.2015.
5 M.N. Burns et al.: „Do positive or negative stressful events predict the development of new brain lesions in people with multiple sclerosis?“, in: Psychological Medicine, 2014; 44 (2), S. 349–59, doi: 10.1017/S0033291713000755.
6 D.C. Mohr et al.: „Psychological stress and the subsequent appearance of new brain MRI lesions in MS“, in: Neurology, 2000; 55 (1), S. 55–61, doi: 10.1212/wnl.55.1.55.
7 B.A.C. Cree et al.: „Long-Term Evolution of Multiple Sclerosis Disability in the Treatment Era“, in: Annals of Neurology, 2016; 80, S. 499–510.
8 A. Volkmann: Neue Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Stress und MS, URL: https://www.gesundheitsstadt-berlin.de/neue-erkenntnisse-zum-zusammenhang-zwischen-stress-und-ms-10919/, 01.12.2016 (15.12.2020).
9 Adeva – Leben mit MS: Stress und MS: So gehst Du damit um, URL: https://www.leben-mit-ms.de/artikel/2018-11-08/stress-und-ms, 18.11.2018 (15.12.2020).
10 M. Weygandt: Neue Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen stressinduzierter Hirnaktivität und Erkrankungsschwere, Pressemitteilung der Charité Universitätsmedizin Berlin, URL: https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/wechselspiel_zwischen_stress_und_multipler_sklerose/ (15.12.2020).
11 Wikipedia: Hirnathrophie, URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hirnatrophie (15.12.2020).

1 Kommentare

  1. Martin Weygandt

    Liebe Autorinnen, liebes Team der MS-Stiftung Trier, liebe Leser,

    ich bin Autor einer der hier genannten Studien und habe mit großem Interesse diese Mitteilung gelesen. Dazu möchte ich jedoch anmerken, dass sie den aktuellen Stand der Forschung teilweise nicht ganz richtig wiedergibt.

    Richtig ist, dass es keine starken Belege für die direkte Verursachung der MS durch Stress gibt. Nichtsdestotrotz gibt es eine sehr große epidemiologische Studie aus Schweden, die über eine Million Personen ohne und über 100000 Personen mit Autoimmunerkrankungen (inkl. MS) über einen langen Zeitraum untersucht hat (Song et al., 2018; Pubmed-Identifier / PMID: 29922828). Diese Studie zeigt klar, dass Personen, die vor der MS-Diagnose eine Stress-bezogene Erkrankung hatten (bspws. eine Posttraumatische Belastungsstörung), eine signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit des nachfolgenden Auftretens einer MS hatten.

    Weiterhin haben wir in einer Folgestudie zu dem, was im Artikel der Trierer MS-Stiftung mit [10] referenziert war (richtige Zitation: Weygandt et al., 2016; PMID: 27821732), im Rahmen eines von den Autorinnen der Stiftung als erforderlich genannten prospektiven Untersuchungsdesigns (das also vorausschauend „Hirnvolumenveränderungen bei Stress im Laufe der Zeit“ untersucht) zeigen können, dass Hirnaktivität, die bei Personen mit MS während einer Stress-auslösenden Aufgabe (Kopfrechnen mit Leistungsbeurteilung) auftritt, die Reduktion des Volumens einschlägiger Hirnregionen vorhersagt, die in einem Zeitraum von ca. 1000 Tagen NACH der Erfassung der Hirnaktivität auftrat. Sprich in dieser Studie (Meyer-Arndt et al., 2020; PMID: 33344700) besaß Stress-induzierte Hirnaktivität einen Vorhersagewert für die zukünftige Hirnatrophie innerhalb der MS.

    Schließlich – und aus klinischer Sicht möglicherweise am bedeutendsten – hat Mohr mit Kollegen (Mohr et al., 2012; PMID: 22786596) in einer Studie, in die 121 Personen mit MS eingeschlossen und per Zufall auf eine Gruppe mit Stressmanagement-Training oder eine Wartelisten-Gruppe aufgeteilt wurden, zeigen können, dass die Entwicklung von Hirnläsionen nach Studieneinschluss während der Behandlung im Vergleich zur Läsionsentwicklung in der Wartelisten-Kontrollgruppe signifikant reduziert war. Weiterhin war auch die Reduktion des allgemeinen Hirnvolumens im Vergleich zur Wartelisten-Kontrollgruppe reduziert.

    Fasst man diese Ergebnisse (und die einer ganzen Reihe anderer Studien, die hier aus Platzgründen nicht genannt werden können) zusammen, so ist ein Effekt von psychologischem Stress auf den zukünftigen Krankheitsverlauf innerhalb einer MS als recht wahrscheinlich anzunehmen.

    Dieser Zusammenhang kann meines Erachtens nach aber auch als Chance begriffen werden, legt bspws. die Studie von Mohr et al. (2012) doch nahe, dass gewöhnliche Stressmanagement-Techniken, die jede Person lernen kann, zu einem günstigeren Verlauf der MS beitragen können.

    Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen,

    Martin Weygandt

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